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Joachim Pfahl im Interview: Das Zwerchfell, unser wichtigster Atemmuskel

    Joachim Pfahl im Inter view: Das Zwerchfell, unser wichtigster Atemmuskel

    04.09.2024

    Das Zwerchfell, unser wichtigster Atemmuskel

    Atmung ist nicht gleich Atmung. Und Muskel nicht gleich Muskel. Manche Muskeln sind für unsere Gesundheit von elementarer Bedeutung. So zum Beispiel das Zwerchfell. Er ist unser wichtigster Atemmuskel und ist wichtig sowohl für unser körperliches als auch für unser seelisches Wohlbefinden. Der Yogalehrer Joachim Pfahl beschreibt in einem Interview, warum wir dem Zwerchfell mehr Aufmerksamkeit schenken sollte und gut daran tun, ihn zu trainieren.

    Doris Iding: Was genau versteht man unter Zwerchfellatmung?

    Joachim Pfahl: Landläufig wird sie auch als Bauchatmung bezeichnet. Es bedeutet, dass im Gegensatz zu einer reinen Brustatmung das Zwerchfell bei der Zwerchfellatmung deutlich stärker beteiligt ist. Erkennbar durch eine Bewegung der Bauchdecke nach vorne, in der Einatmung und nach innen in der Ausatmung. Das Zwerchfell ist ein Muskel, der die Einatmung durch Anspannung und die Ausatmung durch Entspannung ermöglicht.

    Doris Iding: Wie wirkt sie?                                                                            

    Joachim Pfahl: Eine reine Brustatmung verspannt das Nervensystem. Wohingegen eine Zwerchfellatmung den ventralen Vagus Nerv des Parasympathikus anregt und damit das Nervensystem entspannt.

    Doris Iding: Für wen ist sie besonders hilfreich?

    Joachim Pfahl: Sie ist für alle hilfreich. Die Zwerchfellatmung ist die natürliche Atmung des Menschen. Wenn wir Kinder beobachten, werden wir immer eine Bauch-/Zwerchfellatmung finden. Schon direkt nach der Geburt mit dem ersten Schrei oder tiefen Atemzug wird diese in Gang gesetzt. Atmen ist Leben und eine natürliche für das Leben grundlegende Lebensfunktion – eine gestörte Atmung zeigt ein gestörtes Verhältnis zum Leben.

    Doris Iding: Es heißt, dass die Zwerchfellatmung die effizienteste Art der Atmung ist. Kannst du diese Aussage bestätigen. Und wenn ja, warum ist dies so?       

    Joachim Pfahl: Untersuchungen zeigen das eine reine Brustatmung nur etwa 30% -40% unserer individuellen Sauerstoffaufnahme bewirkt. Die Zwerchfellatmung hingegen 80%-100% erreicht. Wie so häufig, kommen verschieden Faktoren hinzu. Es gilt zu verstehen, dass in der Vertiefung der Atmung, die Zwerchfellatmung sich mit der Brustatmung kombiniert. Das ist dann schon 3/4 der sogenannten Yoga Vollatmung. Vertiefen wir den Atem weiter, z.B. in einer Yogahaltung oder Atemübung, führt dies zu einer dritten Stufe, der sogenannten Schlüsselbeinatmung. Hierbei geht der Atem gefühlt über das Zwerchfell in die Brust und dann weiter bis zu den Schlüsselbeinen. Wir bemerken es durch ein leichtes Anheben der Schultern.

    So wie wir einige Male am Tag die Fenster in unseren Häusern oder Wohnungen öffnen um frische Luft in die Zimmer zu lassen, so können wir dieses Prinzip auch bei uns selbst anwenden. Im Alltag, in der Yogapraxis oder dem Praktizieren von Atemtechniken verhelfen wir der beteiligten Muskulatur durch tieferes Atmen einen Austausch der Atemluft bis in die Lungenspitzen zu bewirken.  Viele meiner Kursteilnehmer/Innen haben eine beruflich überwiegende sitzende Tätigkeit. In den meisten Fällen beobachte ich bei diesen Personen einen sehr flachen Atem. Die sitzende Tätigkeit, und die meist mangelnde körperlich aktive Freizeitbetätigung sowie die Vorlagerung der Schultern und der daraus resultierenden Verengung des Brustraums, verflachen den Atem weiter. 

    Ein gesunder tiefer Atem sorgt für mentale und körperliche Entspannung und entgegnet so der oft verbreiteten Energielosigkeit und Müdigkeit. Es werden die Pranaströme angeregt. Diese Unterstützen Wachheit, Motivation, Selbstbewusstsein etc.

    Doris Iding: Viele Leute kennen die Zwerchfellatmung nicht. Das ist erstaunlich, besonders, weil sie so wirksam ist. Wie erklärst du das?

    Joachim Pfahl: Wir fliegen zum Mond und anderen Planeten. Wir können äußere komplexe Gegebenheiten erklären und analysieren. Doch gegenüber den einfachsten körperlichen Funktionen und deren Auswirkungen, die so entscheidend sind für unsere Lebensqualität, sind wir unerfahren, hilflos und unwissend. Aufmerksamkeit und Erfahrung, zum eigenen Körper und den tieferen Dimensionen in uns, der inneren Stille, der Quelle, haben wir nicht in der Erziehung erfahren. So mag es auch nicht verwunderlich sein, nicht zu wissen, ob unsere Atemmuster gesund ist oder schon auf ein Problem hinweist. Selbst bei erfahrenen Yogalehrern/Yogapraktizerenden bemerke ich immer wieder, dass sie nicht genau um die Mechanik der Atmung wissen und somit auch ein fehlendes Verständnis darüber haben, dass die Wiederentdeckung einer Zwerchfellatmung, einerseits Zeit zur Entwicklung braucht und andererseits das Lösen von Blockaden und Verspannungen im Zwerchfell bewirkt.

    Doris Iding: Ja, das kann ich bestätigen. Ich habe in einem Kurs bei Dir miterlebt, dass selbst eine sehr erfahrene Yogalehrerin keinen Zugang zu ihrem Zwerchfell hatte und erstaunt war, dass es so verspannt ist. Wie kommt es zu einer starken Verspannung im Zwerchfell?

    Joachim Pfahl: Stress, Druck, Anspannung kurz gesagt unser „normaler“ Lebensstil führen meist zur Anspannung im Zwerchfell. Das sogenannte falsche Atmen ist für mehr als die Hälfte der Menschen „normal“. Die Gründe für die Fehlatmung sind unterschiedlich. Ein sehr häufiger Grund ist auf jeden Fall, dass viele dem heutigen Schönheitsideal Schlanksein entsprechen wollen. Ganz nach dem alten Prinzip „Bauch rein, Brust raus“ wird also der Bauch ständig eingezogen. Dadurch hat der Brustkorb noch weniger Bewegung und als Folge die Lungen weniger Luft. Eine ständige Unterversorgung des Körpers von Sauerstoff führt langfristig zu starken Verspannungen, Kopfschmerzen und natürlich auch zu Kreislaufproblemen, Müdigkeit und Konzentrationsschwäche.

    Doris Iding: Welche Atemübungen helfen hier besonders gut, diese Verspannungen aufzulösen?

    Joachim Pfahl: In unserer Yogapraxis beginnen wir den Blick für uns selbst zu schärfen. Aus einem immerwährenden „ich muss, ich will“ führen wir uns durch wache Aufmerksamkeit für den Körper und den Atem in die Gegenwart.  Hier erkennen wir die lösenden Wirkungen, wenn wir uns allmählich an die Grenzen herantasten, sie umspielen, und erweitern.  

    Persönlich halte ich Kapalabhati für eine der effektivsten Atemübungen die den Anspannungsbereich im Solarplexus, Bauch, und Zwerchfell lösen. In meiner Arbeit hat sich die Atemübung sehr erfolgreich bewährt. Hier bedarf es eines kompetenten Heranführens und auch einer individuellen Überprüfung durch die Anleitenden. Auch Nadi Shodana, die Wechselatmung, führt durch die Verlangsamung des Atemflusses zu einer Anregung und deutlichen Steigerung der Aktivität des Zwerchfells.

    Starker Stress kann dazu führen das wir beim Lernen von Kapalabhati ein umgedrehtes Atemmuster entdecken. In vielen Fällen weißt diese Tatsache alleine auf tiefer sitzende Lebensthemen hin die vielleicht auch eine therapeutische Begleitung erfordern. Ein umgedrehtes Atemmuster bedeutet das wir beim Ausatmen den Bauch vorwölben und beim Einatmen den Bauch nach innen ziehen. Wenn wir hier ohne Zeitdruck und ohne Vorstellung wie lang oder kurz es braucht, um schrittweise Spannungen in dem Bereich abzubauen, ist das Ganze und ganzheitliche Angebot des Yoga gefragt, aber besonders auch die Meditation um Verspannungen zu lösen.

    Doris Iding: Welches sind die häufigsten Probleme, die bei einer fehlenden Zwerchfellatmung auftauchen können und wie entstehen sie?

    Joachim Pfahl: An der Lungenspitze, in der Nähe des Schlüsselbeins, beträgt die Durchblutung weniger als ein zehntel Liter pro Minute, im untersten Drittel der Lunge dagegen einen Liter pro Minute. Für eine maximale Aufnahme von Sauerstoff ist das Hineinatmen in den unteren Bereich der Lunge erforderlich. Bei flacher Atmung werden nur 0,2 statt 0,5 Liter Sauerstoff aufgenommen, wodurch die unteren Lungenbläschen unterversorgt bleiben. Atem- und Herzrhythmus sind eng aneinandergekoppelt. Das Verhältnis von Atmung und Herzschlag beträgt in Ruhe sowie im Schlaf 1:4. Bei 15-20 Atemzügen pro Minute erfolgen 60-80 Herzschläge. Schneller atmen beschleunigt den Herzschlag, weil der vermehrt eingeatmete Sauerstoff zu den Organen weiterbefördert werden muss. Langsamer atmen verlangsamt den Herzschlag. Einatmen bedeutet Anspannung, Ausatmen bewirkt Entspannung. Je flacher die Atmung, desto schneller ist sie und desto höher ist in der Regel auch die Herzfrequenz. Unzureichendes Ausatmen vor dem Einatmen, wie dies oft bei Angst, Aufregung und Stress der Fall ist, führt dazu, dass sich Kohlendioxid und Schlacken als Abfallprodukt des Atmens in der Lunge stauen und ins Blut abgedrängt werden, was eine vorübergehende Vergiftung bewirkt, die sich in Unruhe, Müdigkeit, Erschöpfung u.a. äußert. Vollständiges Ausatmen ermöglicht erst intensives Einatmen.

    Mit welchen Problemen hinsichtlich des Zwerchfells wirst du besonders häufig konfrontiert und was rätst du deinen Klienten?

    Joachim Pfahl: Als Trauma-Yoga-Therapeut arbeite ich viel in Einzelarbeit. Hier zeigt sich meist sehr schnell eine Problematik die sich im Zwerchfell oder überhaupt in der Atmung äußert. „Es schnürt mir den Hals zu“ oder „Ich bekomme keine Luft mehr“ und „Mir ist etwas auf den Magen geschlagen“ höre ich sehr oft von Klienten. Die deutsche Sprache kennt viele Redewendungen die unsere Befindlichkeiten, und eine Verkörperung unserer seelischen Verfassung und Probleme, ausdrückt. Manchmal löst eine kleine ungewohnte Atemübung sehr heftige Reaktionen aus. 

    Es gilt durch ein liebevolles einladen und langsames heranführen an den Atem oder die Atemtechnik, diese erfahrbar zu machen, um zu erkennen, dass das Vermeiden eine größere Unsicherheit birgt, als den eigenen Körper wieder als sicheren Ort zu erfahren.

    Doris Iding: Herzlichen Dank für das Interview!

    Joachim Pfahl, B.Sc, und Yogalehrer (MERU), Trauma-Yoga-Therapeut (TSY), Bachelor of Science, Yogalehrer, Meditationslehrer und Coach mit 40-jähriger Yogapraxis und internationaler Lehrerfahrung in Regierungs- und Nichtregierungsorganisationen unter anderem in Indien, Thailand, und Europa. Er leitet vier eigene Yoga-Schulen im Raum Nordrhein-Westfalen.
    http://www.yoga-und-meditation.com