Durch die Coronakrise ist ein Bruch durch die Gesellschaft gegangen. Zeit wieder anzuknüpfen, Feste zu feiern, Menschen zu begegnen.
Der Neurobiologe Gerald Hüther gibt uns hilfreiche Tipps fürs Brücken bauen

Es ist endlich wieder Sommer. Aber es ist nicht mehr so wie vor 2 oder 3 Jahren. Durch die Corona-Krise ist ein Bruch durch die Gesellschaft gegangen, weil es unterschiedliche Meinungen über Ursprung des Virus und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen gab. Ehen sind zerbrochen, Jahrzehntelange Freundschaften kaputtgegangen. Auch in Familien gab es zu tiefen Verletzungen. Jetzt, wo die Biergärten wieder besucht werden können, Feste wieder gefeiert können und wir einander wieder umarmen können, wäre es doch eine gute Gelegenheit, wieder Brücken zu den Menschen zu bauen, die uns einmal sehr am Herzen gelegen haben. Der Neurobiologe Gerald Hüther gibt uns hierzu ein paar hilfreiche Tipps. Ein Interview im Auftrag der Abendzeitung vom 23./24. Juli 2022 Nr. 168/29

DORIS IDING
Es heißt, dass wir Jahre brauchen werden, um die psychischen Verletzungen, die wir uns während der C-Krise gegenseitig angetan haben, zu überwinden. Wie können wir erste Schritte tun, um einander wieder zu begegnen?
GERALD HÜTHER
Es ist so leicht dahergesagt: „Ihr solltet wieder aufeinander zugehen und miteinander reden“. Genau das ist es ja, was nun so viele nicht mehr können. Aber es gibt ja bei jedem Streit immer jemand, der erfahrener und innerlich stärker ist. Das ist derjenige, der den Mut und die Kraft aufbringen kann, den ersten Schritt auf dem Weg zu einer Versöhnung zu gehen. Wer sich als unterlegen und schwächer erlebt, kann das nicht. Also heißt es nicht „Bangemann, geh Du voran!“, sondern „Starke Frau oder starker Mann, gib Dir einen Ruck und geh voran!“
DORIS IDING
Was genau ist im Gehirn passiert dadurch, dass es zu dieser Spaltung kam?
GERALD HÜTHER
Sehr viele Menschen hatten in der Anfangsphase große Angst. Die breitet sich im Gehirn als zunehmendes Durcheinander aus und dann braucht man etwas, das einem Halt bietet. Aufgrund vorangegangener Erfahrungen in ähnlichen Situationen halten sich manche Menschen eher an dem fest, was von Experten und Führungskräften als Maßnahmen zur Überwindung einer Krise vorgeschlagen wird. Manche haben aber auch die Erfahrung gemacht, dass die Anordnungen von Führungspersonen in ihrem bisherigen Leben nicht immer zielführend waren. Die sind misstrauisch und neigen dazu, an der Richtigkeit dieser Anordnungen zu zweifeln. Sie halten sich lieber an Vorstellungen fest, die ihnen einleuchtender erscheinen. Wenn die deshalb auch noch diffamiert und für blöd erklärt werden, wird es nur noch schlimmer.
DORIS IDING
Und wie können wir unser Gehirn ganz bewusst wieder mit einbeziehen, damit Ängste und gegenseitiges Misstrauen nicht in den Hirnwindungen „hängen bleiben“?
GERALD HÜTHER
Die Angst muss weg, vorher kann man nicht klar denken. Angst breitet sich immer dann aus, wenn bisher vorhandenes Vertrauen dahinschwindet. Es geht also um die Wiedererlangung von verloren gegangenem Vertrauen. Etwas mehr Verständnis füreinander und etwas mehr Ehrlichkeit im Umgang miteinander hilft da meist sehr gut. Man kann doch auch mal zugeben, dass man so große Angst hatte oder dass man sich bei der Einschätzung der Lage geirrt hatte. Es ist schade, dass ausgerechnet unsere Politiker dazu offenbar kaum in der Lage sind.
DORIS IDING
Ich kenne viele Menschen, die bereits jetzt schon Angst vor dem nächsten Herbst und möglichen weiteren Maßnahmen haben, die neue oder tiefere Keile zwischen die Menschen treiben werden. Wie können wir dem als Individuum vorbeugen?
GERALD HÜTHER
Sicherlich nicht, indem jetzt schon wieder die Angst vor dem geschürt wird, was da im Herbst möglicherweise auf uns zukommt. Wir können doch alle etwas sorgsamer mit uns und unserer Gesundheit umgehen. Wir können unsere Abwehrkräfte, also unser Immunsystem stärken. Zum Beispiel durch viel Bewegung draußen in der Natur. Oder indem wir wieder vermehrt etwas machen, das uns gut tut. Angstmachende Vorstellungen unterdrücken die körpereigene Abwehr und machen uns deshalb noch anfälliger für Infektionen.
DORIS IDING
Abgesehen von der C-Krise: Was können wir tun, damit unsere Beziehungen halten und Krisen durchstehen? Hast du hierzu vielleicht drei kleine Übungen?
GERALD HÜTHER
Um neue Herausforderungen annehmen zu können und Krisen durchzustehen brauchen wir innere Kraft. Die sollten wir stärken. Ich mache das, indem ich mich in allen Situationen darum bemühe, meine eigene Würde zu bewahren. Ich lasse mich nicht von anderen zur Verwirklichung von deren Absichten missbrauchen und ich benutze auch nicht andere, um das zu bekommen, was ich gern haben möchte. Ich bemühe mich auch, so liebevoll wie möglich mit mir selbst umzugehen. Das stärkt diese innere Kraft und macht Menschen nicht so leicht verführbar.
DORIS IDING
Zu einem Streit oder einer Krise gehören immer zwei Menschen. Wie kann ich mich selbst aus dem Gefühl befreien, dass nur der andere Schuld daran ist, dass es zu dieser Krise oder Trennung kam. Hast du hierzu eine Übung?
GERALD HÜTHER
Den Satz „Bitte verzeih mir“ bringen leider nur sehr wenige Menschen über die Lippen.“ Die meisten glauben, sich dem anderen auszuliefern, sobald sie ihre eigene Fehlbarkeit eingestehen. Es wäre ein völliger Neuanfang in der Beziehung vieler Eltern und ihrer Kinder, wenn Papa oder Mama es fertigbrächten, ihrem Kind zu sagen, dass sie manches überhaupt nicht so gut gemacht haben und es ihnen leid tut, dass sie es damals nicht besser gekonnt haben.
DORIS IDING
Hast du eine aktuelle Buchempfehlung deiner Bücher, dass das Brückenbauen erleichtern kann?
GERALD HÜTHER
Es gibt ein Buch über die Würde und sehr viele „Würdekompassgruppen“ die sich in Städten und Gemeinden regelmäßig treffen (www.wuerdekompass.de) und es gibt ein Buch, in dem beschrieben wird, dass Lieblosigkeit krank macht. Dazu passt die Initiative www.liebevoll.jetzt. Da kann jeder und jede mitmachen. Interessant ist auch eine Bewegung, in der sich Menschen aus einem Ort zusammenschließen und den Verantwortlichen in der ortsansässigen Schule ihre Unterstützung anbieten, damit künftig kein Kind in dieser Schule seine ihm angeborene Freude am Lernen mehr verliert (www.lernlust.jetzt).
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Buchempfehlung
Gerald Hüther
Lieblosigkeit macht krank.
Herder-Verlag. 176 Seiten. 1. Auflage 2021
