Natürlich, es geht immer noch mehr: tiefer atmen, länger meditieren, gesünder essen, achtsamer schlafen und positiver denken.
Das ist alles gut und schön, solange es nicht in Selbstoptimierung ausartet. Die entspricht leider sehr dem höher-besser-weiter-Zeitgeist, der auch in allen Bereichen der Freizeit zu finden ist. Sich selbst zu fordern, hat etwas Gutes. Aber bitte achte darauf, dass du dich selbst nicht überforderst. Und vergiss nicht, dich auch über all die kleinen Fortschritte zu freuen, die du in den letzten sechs Wochen, sechs Monaten oder zwei Jahren gemacht hast. Die werden gerne übersehen.
Der innere Antreiber: das schlechte Gewissen
Die Tendenz immer unzufrieden mit den eigenen Leistungen zu sein, kann ziemlich Kräfte zehrend sein. Besonders dann, wenn wir sie nicht als Selbstoptimierung erkennen. Zu überhören ist sie dafür nicht. Sie hat ein unermüdliches und ziemlich lautes Sprachrohr: Das schlechte Gewissen. Diese Stimme in uns kann uns mental ganz schön bedrohen. Sie flößt uns Angst ein, quält und sorgt dafür, dass unser Geist meistens unter Strom steht. Körperlich zeigt es durch Anspannung im Schulterbereich oder Herzraum oder als dumpfes Gefühl in der Magengegend.
Viele Menschen begleitet das schlechte Gewissen ungefragt rund um die Uhr. Es meldet sich besonders gerne dann, wenn wir entspannen wollen. Dann zeigt es sich lautstark mit Kritik und Schuldzuweisungen. Dabei bräuchten wir in solchen Momenten genau das Gegenteil: Zuspruch und Selbstmitgefühl. Es macht uns die Entspannung madig, wenn wir nach einem langen Arbeitstag auf dem Sofa abhängen wollen. Es klagt uns an, wenn wir nach einer anstrengenden Woche zur Einleitung des Wochenendes ein Glas Wein trinken zu einem saftigen Steak trinken wollen. Dann fragt es griesgrämig, wie viele Tiere noch wegen uns sterben müssen. Und wie viele Gehirnzellen noch draufgehen sollen, nur weil wir ein Alkoholproblem haben. Es bezeichnet uns als egoistisch, wenn wir im Kino Entspannung suchen, anstatt die Eltern im Pflegeheim zu besuchen. Es nennt uns eine Versagerin, wenn wir uns auf einem Vortrag verhaspeln. Es macht uns zu einer Niete, wenn unsere Bewertung nur 4,9 statt 5 Sterne aufweist. Es macht uns klein, wann immer es geht. Besonders gerne, wenn es uns nicht gelingt, unsere Neujahrsvorsätze umzusetzen.
Spätestens Anfang Februar ist das schlechte Gewissen so richtig in Fahrt. Zu Silvester hatten wir uns optimistisch und voller Enthusiasmus jede Menge vorgenommen, um ein besserer, achtsamerer und entspannterer Mensch zu werden. Haben uns eine Yogamatte gekauft, Hantel aus dem Keller geholt und Wein aus der Vorratskammer verbannt. All unsere Freunde wissen, dass wir ab zukünftig Zuckerfrei essen werden und auf Fleisch verzichten wollen. Aber schon nach wenigen Tagen, häufig nach einigen Wochen oder dem ersten Monat des neuen Jahres verfliegt der Zauber der Entschlossenheit. Er weicht den jahrzehntelangen Gewohnheiten und dem omnipräsenten schlechten Gewissen, dass sich für uns schämt. Den schalen Geschmack des Versagens werden wir so schnell auch nicht los: Wieder einmal ist es uns nicht gelungen, aus unserem Leben zu verbannen, was uns dick und krank macht. Und wieder einmal bekommen wir ein schlechtes Gewissen, weil wir eine Tiefkühlsalami-Pizza im Supermarkt kaufen und in einer Plastiktüte nach Hause tragen, Pommes im Fast Food Restaurant bestellen oder die Yogamatte abends in der Ecke liegen lassen. Und mit jedem gebrochen Vorsatz nehmen die Selbstanklagen zu. Woher zum Teufel kommt diese innere negative Stimme? Und wie können wir sie zum Schweigen bringen?
Konflikte gehören zum Leben
Ein inneres Gewissen entsteht dann, wenn wir ein Zielkonflikt haben. Wir wollen sparen, kaufen uns aber trotzdem ein teures E-Bike. Wir möchten mehr Zeit in der Natur verbringen, verlieren uns stattdessen in virtuellen Welten. Wir haben Freunden einen gemeinsamen Abend versprochen, entscheiden uns dann aber dafür, allein Saxofon zu üben. In allen Beispielen krachen verschiedene Motive aufeinander: die Lust, uns etwas Schönes zu gönnen kollabiert mit dem Vorhaben, zu sparen. Die Idee, mehr Verbindung mit der Natur zu erleben und dabei auf uns zu achten, kracht auf die Tendenz, sich ablenken zu lassen. Der Wunsch, Zeit mit geliebten Menschen zu verbringen, mit dem Bedürfnis, besser zu werden. Für den Neurobiologen Gerhard Roth gehören solch innere Konflikte zum Leben. Sie sind sogar unvermeidlich. Wichtig ist, dass wir lernen, mit ihnen zu leben. Roth, Autor des Buches „Das schlechte Gewissen – Quälgeist oder Ressource“ siedelt Gewissenskonflikte im Gehirn an. Seiner Ansicht nach pendeln wir auf einer unbewussten Ebene von Anfang an zwischen dem Wunsch nach Autonomie und Bindung, Schutz und Erkundung, Ruhe und Aufregung hin und her. Seiner Ansicht nach sind wir auf Zerrissenheit angelegt und eine der großen Lernaufgaben dieses Lebens besteht darin, diese inneren Tendenzen auf eine gesunde Weise auszubalancieren.
Als Kinder machen wir unsere Erfahrungen mit der Welt, werden erzogen und lernen, uns den Vorgaben der Gesellschaft entsprechend sozial zu verhalten. Gleichzeitig bleiben unsere egozentrischen Motive und innersten Wünsche bestehen. Daraus ergibt sich ein spannungsgeladenes Verhältnis aus dem was wir selbst wollen und was andere von uns erwarten. Die Ermahnungen, die wir dann hören, wenn wir Wünsche und Erwartungen nicht erfüllen, die Bewertungen unseres Denkens und Handelns, und dann die eigenen Wünsche und Ziele, die später hinzukommen, all das formiert sich zu der Stimme unseres Gewissens.
Das Gewissen ist aber nicht nur schlecht. Es ist auch eine Form von Regulativ und ein Alarmsignal, dass für das Überleben des Organismus zuständig ist. Darüber hinaus regelt es das Zusammenleben in der Gemeinschaft und sichert so ein soziales Miteinander. Es sorgt dafür, dass wir anderen und der Welt gegenüber zuverlässig sind. Es hilft uns, dass wir Versprechen halten. Es ist die Instanz in uns, die dafür sorgt, dass wir Werte entwickeln und ihnen entsprechend leben. Es sorgt auch dafür, dass wir auf uns und andere achten.
Das Gewissen in die Schranken weisen
Um den Konflikt zu entschärfen, wenn wir zum Beispiel auf der einen Seite gesund leben wollen, auf der anderen Seite gerne zum Essen einen köstlichen Wein trinken, sollten wir uns an den Verhandlungstisch setzen. Mit uns und unseren verschiedenen Bedürfnissen. Denn wenn du dich lediglich für eines der beiden Ziele entscheiden, und das möglicherweise ganz radikal, bleibt der andere Wunsch auf der Strecke. Was dann entsteht, ist innerer Stress. Nehmen wir dann unseren gesunden Menschenverstand und das eigene Herz hinzu, kann etwas viel Schöneres entstehen: Flexibilität. Dann können wir uns dafür öffnen, dass es vielleicht gar nicht so sehr darum geht, „nie mehr“ Wein zu trinken oder „immer“ gesund zu leben. Viel besser wäre es, sich selbst mehr Toleranz zuzugestehen und sich für ein „ab und zu“ zu öffnen. Gut ist tausendmal besser als gar nicht. Und es ist immer noch mehr als genug!
Den Weg der Mitte gehen
Wie wäre es, wenn Du ein „manchmal“ in Ihr Leben einlädst, anstatt „nie mehr“ etwas genießen zu dürfen? Was wäre, wenn Du dir bewusst vornimmst, dir selbst in bestimmten Situationen ein Glas Wein zu gönnen oder Dich selbst mit einem guten Glas Wein belohnst? Deine Regel „Ich lebe gesund“, wäre damit nicht außer Kraft gesetzt, sondern um eine Ausnahme ergänzt. Ausnahmen zuzulassen zeugt außerdem von Weisheit, Toleranz und Flexibilität. Von diesen Qualitäten kann man – ganz nebenbei bemerkt – nie genug besitzen. Sie machen auch deutlich, dass Du offen bist und Verantwortung übernehmen kannst für dein Denken und Handeln. Wenn Du dir diese Belohnungen ab und zu zugestehst, zeigst du auch, dass Du in der Lage bist, Kontrolle über dein Leben zu haben, ohne in ein rigides Verhalten zu verfallen. Und wenn Du von 30 Tagen im Monat an 24 oder 28 Tagen auf ein Glas Wein verzichtest, ist das immer noch mehr sehr gut! Mit einer solchen Toleranz können Du das Leben genießen und gleichzeitig etwas für deine Gesundheit tun. Und ganz davon abgesehen: Vieles in Maßen konsumiert hat darüber hinaus auch eine heilende Wirkung.
Maja Storch und Gerhard Roth: „Das schlechte Gewissen – Quälgeist oder Ressource? Neurobiologische Grundlagen und praktische Abhilfe. Hogrefe Verlag, 19,95 EURO
Doris Iding: Mein innerer Kritiker kann mich mal. mvg verlag, 14 EURO
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