Zum Inhalt springen

Spiritualität: Gehmeditation = Konzentration in Aktion

    Spiritualität: Gehmeditation = Konzentration in Aktion

    13.09.2024

    Gehmeditation: Konzentration in Aktion

    Die Konzentration und das Erforschen sind zentrale Elemente der Meditation. Sie unterstützt uns darin, den Geist in den Körper zurückzubringen, weil dieser die Tendenz hat, zwischen Gestern und Morgen hin- und herzupendeln. Bringen wir den Geist zurück in den Körper und damit einhergehend ins Hier und Jetzt, beruhigt er sich und wir sind in der Lage, präsenter zu sein. Wir nehmen Gedanken, Gefühle und Körperempfindungen bewusster wahr und konzentrieren uns gezielt auf etwas, wie zum Beispiel die Atmung oder das Gehen. Dabei geht es nicht darum, den Geist leer zu machen, sondern ihn friedlicher zu machen und ganz mit dem, auf dem unsere Konzentration ruht, zu verschmelzen.

    Besonders im Buddhismus hat man die Gehmeditation mit in die spirituelle Praxis einbezogen. Bereits Buddha meditierte im Wechsel von Gehen und Sitzen. Im Zazen bezeichnet man diese Gehmeditation als Kinhin-Meditation, die genauso wie die Sitzmeditation jeweils 20 Minuten lang praktiziert wird. Während man Schritt für Schritt achtsam geht, liegt der Schwerpunkt der Aufmerksamkeit auf dem Körper und jedem einzelnen Schritt. Genauso wie beim Sitzen ist es wichtig, sich immer wieder daran zu erinnern, bewusst und wach bei der Sache zu sein.

    Für viele Menschen ist die Gehmeditation anfangs sehr ungewohnt, weil sie mehr oder weniger durch ihr Leben rasen. Das langsame Gehen, Schritt für Schritt, bringt uns auf sehr sanfte Weise in unseren Körper und den gegenwärtigen Moment zurück. Die ideale Voraussetzung, um sich der Erforschung des Körpers und des Gehens zu widmen. Dabei geht es nicht um ein intellektuelles Erforschen, sondern viel mehr um ein unmittelbares Wahrnehmen der Füße, der Erde, dem Kontakt der Füße mit der Erde, der Atmung, des ganzen Körpers beim Gehen.

    Da wir normalerweise sehr festgefahren in unseren Mustern und Gewohnheiten sind, ist die Gehmeditation eine wunderbare Möglichkeit, uns eine ganz neue Sicht auf das zu vermitteln, was gerade geschieht. Das achtsame, langsame Heben des rechten Fußes vom Boden in Einklang mit der Einatmung, das Absenken des rechten Fußes und das Berühren des Bodens mit der Ausatmung kann uns auf eine ganz neue Weise mit unserer Fähigkeit des Gehens in Kontakt bringen. Aber auch die Berührung der Erde mit unseren Füßen kann zu einem sehr tiefen Erlebnis werden, wenn wir vollkommen und mit allen Sinnen bei der Gehmeditation präsent sind.

    Die Erforschung des Gehens urteilt nicht. Es geschieht einfach. Schritt für Schritt geschieht gehen und kann uns eine tiefe Erfahrung von Verbundenheit mit allem schenken, dass berührt wird, wenn wir die Füße sanft auf den Boden aufsetzen.

    Während die Konzentration den Geist beruhigt und Spannungen abbaut, kann das Erforschen tiefe Freude in uns auslösen, weil wir endlich wieder wie die Kinder ganz mit dem in Kontakt sind, was gerade passiert. Zusammengenommen ergänzen sich die Qualitäten von Konzentration und Erforschen so wie die Sitz- und Gehmeditation.

    Verschiedene Formen der Gehmeditation

    Die Kinhin-Gehmeditation

    Diese Gehmeditation kommt aus dem Zenbuddhismus. Sie wird immer im Wechsel mit der Sitzmeditation praktiziert. Dabei geht es darum, den Körper aufzulockern, ohne den Geist aus dem meditativen Zustand zu holen. Die Atmung und Schritte werden synchronisiert und langsam durchgeführt. Wird die Gehmeditation in der Gruppe angewandt, dann geht man hintereinander im Kreis oder im Rechteck. Es gibt einen Wechsel zwischen sehr langsamen und schnelleren Schritten. Die Hände werden so gehalten, dass die Faust der linken Hand auf dem Bauch ruht und von der rechten Hand umschlossen wird. Die Aufmerksamkeit ist auf die Empfindung der sich berührenden Hände gerichtet, auf die Füße und die Verbindung von Atem und Gehen. Und darauf, den Geist immer wieder in den Körper zurückzuholen, falls dieser sich in Geschichten, Planungen oder anderen Aktivitäten verloren hat.

    Die Theravada-Gehmeditation

    Die Strecke, die für diese Meditation gegangen wird, ist normalerweise zehn Meter lang. Die Dauer der Meditation beträgt 20 Minuten. Dieser kurze Abschnitt eignet sich ideal, um den Geist immer wieder zurückzuholen in den Körper. Das langsame Gehen ist auch eine wunderbare Möglichkeit, um die Empfindungen des Körpers sehr genau wahrzunehmen. Es ist eine sehr spannende Erfahrung, sich ganz dem Prozess des Fühlens hinzugeben:

    Wahrzunehmen, wie es sich anfühlt, wenn ein Fuß den Boden verlässt und ihn wieder berührt.

    Die Erde als einen lebendigen Organismus zu erfahren.

    Sich der zahlreichen kleinen Wesen bewusstwerden, die auf der Erde krabbeln (Vorausgesetzt, die Gehmeditation findet im Freien statt). 

    Das Fühlen, wie sich die Hand auf dem Bauch anfühlt, während wir gehen.

    Wahrzunehmen, wie wir uns über unsere Mitte stabilisieren können, wenn ein Fuß in der Luft ist.

    Gehmeditation nach Thich Nhat Hanh

    Der vietnamesische Mönch Thich Nhat Hanh hat die Gehmeditation hier im Westen salonfähig gemacht. Bekannt ist sein Satz: „Wenn ich gehe, dann gehe ich. Wenn ich Tee trinke, trinke ich Tee.“ Für Thich Nhat Hanh gibt es keinen Unterschied zwischen formaler Meditation und informeller Praxis. Für ihn kann die Gehmeditation überall gemacht werden.

    Achtsamkeits-Gehmeditation

    Diese Form der Meditation kannst du überall anwenden. Im Sinne der Theravada-Gehmeditation, sodass du nur 10 Schritte gehst. Oder aber du nimmst dir eine Strecke in deinem Alltag vor und gehst dieses Stück sehr achtsam. Es könnte zum Beispiel so aussehen, dass du den Weg vom Auto (oder Bus) ins Yogastudio gehst. Oder dass du nicht den Aufzug verwendest oder die Rolltreppe und du stattdessen die Treppen benutzt und du dann die folgende Anleitung ausprobierst.

    Anleitung

    Ich unterteile diese Art der Gehmeditation gerne in drei Schritte:

    1. Konzentriere dich nur auf deine Füße. Nimm wahr, wie Du Schritt für Schritt gehst. Wenn es dir möglich ist, synchronisiere das Gehen mit deiner Atmung.  Versuche, dich nicht von Äußerlichkeiten ablenken zu lassen.
    2. Richte deine Aufmerksamkeit nun auf deinen ganzen Körper und nimm wahr, wie sich der ganze Körper mit seinen zahlreichen Muskeln, Knochen und Sehnen bewegt. Versuche, dich nicht von Geräuschen und Gerüchen ablenken zu lassen.
    3. Richte deine Aufmerksamkeit nun bewusst auf Geräusche in der Nähe und dann in der Ferne.

    Durch diese bewusste Lenkung der Achtsamkeit auf die verschiedenen Bereiche kannst du lernen, dass du dein Bewusstsein ganz gezielt lenken kannst.

    Waldbaden

    Diese Form der Gehmeditation findet in der Natur statt. Idealerweise kannst du sie barfuß machen. Der Kontakt der nackten Füße mit dem Gras oder dem Waldboden wird dich noch einmal unmittelbarer mit der Natur und deiner Verbindung mit der Natur in Kontakt bringen.

    Anleitung

    Lass dein Smartphone für diese Meditation nach Möglichkeit zu Hause. Dann wirst du dich mit dem www – worldwidewood – verbinden können. Das ist eine unmittelbare Verbindung mit dem Leben, der Natur und dir selbst.

    Versuche nach Möglichkeit langsam zu gehen. Wenn du das Gebiet kennst, könntest du auch einmal versuchen, mit verbundenen Augen zu gehen. Dadurch wirst du die sinnlichen Erfahrungen, die du während dieser Mediation machst, noch einmal viel bewusster erleben. Die Aufmerksamkeit richtet sich anfangs vollkommen auf deine Füße. Versuche, möglichst wertfrei und offen wahrzunehmen, wie es sich anfühlt, wenn du den Boden berührst. Solltest du Angst haben vor Tieren oder spitzen Ästen oder Wurzeln, versuche, diese Ängste loszulassen. Versuche stattdessen einfach nur die Beschaffenheit des Bodens wahrzunehmen. Ist er kalt oder warm? Ist er hart oder weich? Nimm dann das konstante Balancieren deines Körpers wahr, wenn ein Fuß den Boden verlassen hat und wie es sich anfühlt, wenn beide Füße wieder am Boden sind. Weite deine Achtsamkeit langsam aus von den Fußsohlen hoch bis zum Scheitelpunkt deines Kopfes. Wie nimmst du deinen Körper wahr, während du gehst? Wie erlebst du den Wald, wenn du mit allen Sinnen gegenwärtig bist? Öffnen dich nach Möglichkeit nach und nach für die verschiedenen Sinne: Was riechst du? Wie viele Geräusche nimmst du wahr? Wo bist du mit deinen Gedanken, wenn du abschweifst? Nimm all diese Regungen ruhig, freundlich und offen wahr. Mache dir dann den Anfang, Mitte und Ende eines jeden einzelnen Schrittes bewusst. Halte immer wieder inne und wandere mit deiner ganzen Aufmerksamkeit durch den Körper. Richte deine Aufmerksamkeit dann immer wieder von den Fußsohlen angefangen auf den ganzen Körper, bis du am Scheitelpunkt deines Kopfes angekommen bist. Öffne dann wieder deine Sinne für den Wald und kehre dann wieder zum Körper zurück.

    Pilgern

    Eine weitere Form der Gehmeditation ist das Pilgern. Dabei nimmt man eine Intension oder Frage mit auf den Pilgerweg und öffnet sich für Antworten. Auch hier stehen Konzentration und Empfindung im Vordergrund, wo bei dem Gehen über lange Strecken eher in tiefe meditative oder tranceähnliche Zustände führen. Durch das kontemplative Schweigen können sich auf diese Weise Antworten zeigen, die umfassender sind als jene, die über den Verstand erzeugt werden.  Es gibt weltweit zahlreiche Pilgerwege, die sich anbieten, um die Gehmeditation zu praktizieren.

    Foto: Lucas Sankey / Unsplash