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Lilli Hartmann im Interview: Wahrhaftig leben

    Lilli Hartmann

    Lilli Hartmann im Interview: warhaftig leben

    22/05/2024

    Wahrhaftig leben und lieben lernen

    Es gibt Künstlerinnen, die mich zutiefst im Herzen berühren. Lilli Hartmann ist eine davon.

    Ich kenne sie schon seit über 30 Jahre und verfolge ihren Lebensweg immer wieder mit großem Interesse. Besonders berührt hat mich ihre persönliche Interpretation der Tarotkarten, die sie in Zusammenarbeit mit der Fotografin Cristina Rocha geschaffen hat. Für mich persönlich ist sie eine Rebellin der Achtsamkeit, weil sie ihren eigenen Weg geht, den ich als sehr unkonventionell und frei empfinde.

    Doris: Empfindest du dich selbst als eine Rebellin? Und als achtsam?

    Lilli: Also als Rebellin habe ich mich eigentlich noch nie empfunden, das hat in meinem Verständnis immer etwas Kämpferisches, Aufrührerisches, eher habe ich schon seit frühester Kindheit das Gefühl gehabt anders zu sein, bzw. ich verspüre, seit ich denken kann einen tiefen Widerstand in mir, wenn ich an angepasst sein denke und an ein Leben, das mit gesellschaftlichen Erwartungen konform laufen soll.

    Mit der Achtsamkeit ist das so eine Sache. Ich denke, ich lerne stetig dazu achtsamer mit mir selbst zu sein, gerade in den letzten Jahren hat sich da viel in mir gewendet und gedreht und ich bin mir und meinem Gemüts- und Geisteszustand und meinem Körper gegenüber hellhöriger und feinfühliger geworden. Was andere Menschen angeht, ist das ähnlich, deren Energie und Zustände nehme ich auch immer präziser wahr.

    Doris: Du arbeitest als (Künstlerin und als Bühnenbildnerin & Kostümbildnerin). Deine Wohnung ist für mich eine Welt für sich. Eine wunderschöne Fantasiewelt. Wie bist du zu deiner Arbeit gekommen?

    Lilli: Ich habe eigentlich schon immer meine eigenen Welten um mich herumgehabt, ob es auf (in) einem Blatt Papier war oder Zimmer okkupierende aufgebaute Spielzeuglandschaften und es gab für mich auch nie die Frage irgendetwas Anderes in meinem Leben zu machen als Kunst.

    Ich habe dann auch Fine Arts studiert und bin dann aber erst später in den kreativen Prozess in der Theater- und Opernwelt mit eingestiegen. 

    Meine Wohnung ist auch mein Studio, es ist für mich wie eine Erweiterung meines Selbst, in jeder Ecke leben “Freunde”, Dinge, Kreaturen, Masken, Bilder, mit denen ich in Kommunikation bin und alle von ihnen auch unter sich. Meine Wohnung ist mein persönlicher grosser Spielplatz, mein eigenes Universum, in dem sich immer neue Darsteller und Geschichten einfinden.

    Doris: Wie würdest du dich selbst in drei Sätzen beschreiben?

    Lilli: Uff. Das ist eine sehr schwierige Frage.  Wo fang ich da an? Außen? Innen? In der vermeintlichen, immer neu interpretierbaren persönlichen Geschichte? Waren das jetzt schon drei Sätze? Das soll keine Ausflucht sein, ok ich versuche es mit drei Worten: Bunt und Wunscherfüllt.

    Doris: Du bist mir aufgefallen durch deine kreative, ausgefallene Kunst. Besonders deine Tarotkarten beeindrucken mich. Wie bist du zu dieser Idee gekommen?

    Lilli: Symbolschwangere Bilder haben auf mich eine Wirkung wie das Licht auf Motten, und die Tarotkarten bersten ja schier vor Symbolträchtigkeit, die Bilder sind fast greifbar. Fast meint man zu verstehen scheinen, aber dann sind sie doch wieder unfassbar, wenn man sie rein über den Geist verstehen will, sie sprechen mehr zu einem auf der Ebene der Intuition.

    Seit 7 Jahren hatte ich den Wunsch eine künstlerische Arbeit zu machen die mit Tarot zu tun hat. Vor ungefähr einem Jahr hat dann eine gute Freundin zu mir gesagt (die meinen Wunsch auch kannte) warum fängst Du nicht einfach mit dem großen Arkansas an. Hier um Dich ist doch schon alles, was Du brauchst (damit meinte sie meine Wohnung/Studio) und das stimmte, eigentlich war schon alles da, es musste nur mit Fokus zusammengestellt werden.

    Die Bilder des Tarots haben eine solche Kraft, denn in ihnen unumgängliche Wahrheiten komprimiert sprechen.  Es sind Wahrheiten über das menschliche Sein, die Seele unsere Anteile unsere Beziehungen und den Lebensweg. Sie eröffnen die Möglichkeit zu Erkenntnissen über sich selbst und sie sind Orientierungshilfe und Weckrufe, da ist irgendwie eine Sprache in Bildhaftigkeit gebannt, die allen menschlichen Wesen zuggängig ist (natürlich nur wenn man sich ihr gegenüber öffnen will oder überhaupt Interesse an diesen Themen hat).

    Für mich war es ein tiefes Anliegen, wirklich in diese Bilder mit Leib und Seele einzutauchen, zu ihnen zu werden, denn durch diesen Prozess wird mein eigenes Verständnis eine gelebte Erfahrung.

    Doris: Ich finde es wunderschön, wie du dich kleidest und lebst. Sehr unkonventionell und selbstbestimmt. Stößt du in deiner Art und Weise zu sein an Grenzen?

    Lilli: Die Grenzen finde ich klar im physischen Raum, d.h. es gibt kaum einen freien Flecken mehr an meinen Wänden und der Speicher platzt aus allen Nähten. Auch die Zeit zeigt mir eindeutig Grenzen, um all die Ideen aus meinem Inneren in die Wirklichkeit zu transformieren und die Ideen sprudeln eigentlich immer, na ja, aber mit der Zeit ist es halt ähnlich, sie sprudelt auch, somit versuche ich in einem Modus zu Leben in dem alles irgendwie im Fluss ist (dann bin ich am wenigsten überwältigt von all dem was da noch so zu tun ist), die Idee die am stärksten drängt ist dann die Welle die ganz vorne schwimmt, zwischenzeitlich gehen dann auch wieder Ideen unter und kommen später in anderer Form wieder zu Vorschein.

    Doris: Welche weiblichen Vorbilder gibt es für dich?

    Lilli: Ein großes Vorbild für mich ist Vivienne Westwood. Aber eigentlich haben alle meine Freundinnen und Freunde, die Männer müssen hier genauso erwähnt werden, Seiten und Fähigkeiten, die mich inspirieren und begeistern und von denen ich lerne!

    Doris: Wie reagieren Männer auf dich? Machst du ihnen als eine unangepasste Frau eher Angst oder machst du sie neugierig?

    Lilli: Was gäbe ich nicht dafür, mal wirklich zu wissen, was in den Köpfen von ihnen vorgeht! Ich glaube Angst eher nicht. Davongerannt ist noch keiner, zumindest nicht bei der ersten Begegnung.

    Doris: Du hast in verschiedenen Ländern gelebt. England, Spanien. Wie nimmst du die Frauen hierzulande wahr? Sind sie in der Lage, sich selbst zu leben, frei auszudrücken? Sich zu verwirklichen?

    Lilli: Ich glaube es gibt schon etwas länderspezifisches, allerdings ist das auch irgendwie nicht die ganze Wahrheit, denn wie Menschen mit dem Leben und mit ihrem persönlichen Ausdruck im Leben umgehen hängt doch stark von der eigenen Offenheit und Neugierde und Mut ab, es ist natürlich sehr gesund und bereichernd sich mal in einem fremden Kontext durchschlagen zu müssen und da färbt dann auch immer etwas ab, aber andere Einflüsse bekommt man mittlerweile auch mit wenn man Deutschland nie verlassen hat. Generell würde ich mal frech sagen, in der Authentizität, und im unkonventionellen Ausdruck seiner Selbst gibt es hier (und bestimmt auch anderswo) durchaus viel Raum nach oben!

    Doris: Wie sehr hat dir die Kunst geholfen, dich selbst zu verwirklichen?

    Lilli: Kunst ist nicht von meinem Selbst und meiner Verwirklichung zu trennen.

    Doris: Welche Rolle spielt die Achtsamkeit und Spiritualität in deinem Leben?

    Lilli: Spiritualität, die Frage nach dem Sinn des Seins, dem Warum und Wohin ist ein lebenslanger Begleiter, wobei der Umgang mit diesen Fragen und das Vertrauen in das Leben sehr viel natürlicher und auch leichter geworden sind. Damit meine ich, dass ich heute weniger kopflastig leben kann als früher, und mein Urvertrauen sich in all meinem Sein ausgebreitet hat.

    In der Natur sein, mich ihr zu öffnen und dadurch Antworten zu erhalten und meinem Körper die nötige Auslastung zu geben dass er glücklich ist, gehören zu meinem Alltag und das hält mich meistens ganz gut in Balance, wobei ich natürlich auch noch sehr viele Seiten meines Verhaltens und Seins positiv entwickeln kann, ja, ja da gibt es auch noch ordentlich Raum nach oben, aber das hört wohl nie auf denk ich, dieses sich immer weiter verfeinern.

    Doris: Was würdest du dir für die Frauen der kommenden Generationen wünschen?

    Lilli: Dass das das leidvolle Erbe aller vorherigen Generationen leichter wird und sich vielleicht sogar mal auflöst und das Heilung schon Teil des Heranwachsens ist und nicht erst ein Prozess, der in der Mitte des Lebens in Augenschein genommen wird.

    Doris: Wie können wir ein tieferes und umfassenderes WIR zwischen den Frauen entwickeln?

    Lilli: Indem man sich selbst wahrhaftig und tief Liebhaben lernt, das sich Vergleichen einstellt und einsieht das ein diverses Blütenmeer viel schöner ist als eine einzige Blume.

    Mehr Infos zu Lilli Hartmann: https://www.instagram.com/hartmann_lilli/

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